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  • AutorenbildKatrin Beer

Für die Lesenden schreiben - floskelfrei

"Leider müssen wir Ihnen mitteilen...", "Wie telefonisch besprochen...", "Zur Kenntnisnahme..." - die Floskelliste ist lang. Und beliebt. Denn Floskeln versteht jeder, doch niemand nimmt sie so ganz ernst. Warum verwenden wir überhaupt Floskeln, wenn sie doch niemand mag? Meine Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer nennen Floskeln zwar leere Worthülsen, die aber manchmal den Briefeinstieg enorm erleichtern würden.  Das kann ich gut nachvollziehen, denn wer unter Zeitdruck arbeiten muss, kann und/oder will sich nicht allzu sehr um neue Formulierungen bemühen - und dennoch: Es lohnt sich, mit Floskeln aufzuräumen und seinen Sprachstil zu überdenken. Aber wie? Meine Antwort ist jeweils einfach: Indem man den mündlichen Dialog als Vorbild nimmt. Und von Mensch zu Mensch kommuniziert. Der Einstieg Der Einstieg ist für viele Schreibende schwierig. Wie soll man beginnen? Noch blinkt der Cursor und wartet darauf, dass einige Buchstaben getippt werden. Das macht viele Schreibende nervös. Deshalb beginnen viele Briefe oder E-Mails mit "Wir": Wir haben Ihre Nachricht erhalten / Wir müssen Ihnen leider mitteilen.../ Wir haben besprochen, dass.../ Wir freuen uns, dass... . Warum immer "wir"? Was wäre, wenn Sie für einmal die Spielseite wechseln und mit "Sie", also mit der Perspektive des Empfängers beginnen? Dann hiesse es: Danke für Ihre Nachricht / Für den Job als XY bringen Sie sehr viele Anforderungen mit. Gute Französischkenntnisse sind jedoch eine zwingende Voraussetzung... / Sie wünschen, Ihre neue Arbeitsstelle am 1. November anzutreten / Sie sind unsere neue Mitarbeiterin - herzlich willkommen. Die Beispiele sind nicht in Stein gemeisselt, die Formulierungen dürfen Sie ändern, Ihren Bedürfnissen anpassen. Aber es geht darum, aus der Sicht des Empfängers zu schreiben. Allzu oft wollen Schreibende ihre Botschaft so rasch wie möglich loswerden. Daher das "wir". Wechseln wir jedoch die Perspektive, also schlüpfen in die Rolle des Lesers, ergibt sich ein anderes Bild. Was muss denn der oder die Leser/in wissen? Was erfreut ihn oder sie? Was muss ich erklären? Und was weiss er/sie bereits? Auf den Punkt bringen Was nicht für Dritte (zum Beispiel für amtliche Stellen) nochmals erwähnt werden muss, können Sie getrost weglassen. Also Sätze wie Wir haben Ihr Gesuch mit der Bitte um ... am... erhalten und können Ihnen nun mitteilen, dass... ist in den meisten Fällen nicht nötig. Die Lesenden werden es Ihnen danken, wenn Sie gleich auf den Punkt zu kommen: Ihr Gesuch um ... können wir bewilligen. Auch hier hilft wiederum der Perspektivenwechsel: Was interessiert den anderen? Worauf wartet er oder sie? Um beim Beispiel des Gesuchs zu bleiben: Der oder die Leser/in hofft auf eine positive Antwort. Darauf, dass zum Beispiel die Bitte um unbezahlten Urlaub bewilligt wird. Die Antragsstellenden warten nicht darauf, dass ihnen - in diesem Fall der Arbeitgeber - nochmals erklärt, worum sie selber gebeten haben. Das wissen sie ja bereits. Sie wissen aber nicht, ob sie nun den unbezahlten Urlaub antreten können oder nicht.  Nun mögen einige einwenden, dass Tempo werde zu forsch angeschlagen, wenn man sofort mit dem Thema einsteige. Man könne nicht jeden Brief so beginnen. Stimmt - denn auf Dialog aufbauende Briefe sind keine 08/15-Briefe. Man kann aber mit dem Briefeinstieg spielen. Diesen zum Beispiel verwenden, um dem/der Leser/in für etwas zu danken. Small Talk, aber schriftlich. Ich habe schon im Blog "Grussformeln" erwähnt, dass man sich ruhig an der mündlichen Situation orientieren darf. Was machen zwei Personen, die telefonieren? Sie "small talken" ein wenig. Danken zum Beispiel für den Report, für die Bewerbung. Dieser Small Talk ist jedoch nicht belanglos. Er "schmiert" die Beziehung zwischen den beiden. Klar, dass nicht alle mündlichen Formulierungen in den schriftlichen Korrespondenzverkehr einfliessen. Wie geht es Ihnen oder Heute ist es warm etc. haben vielleicht noch im E-Mail-Verkehr Platz. Aber das Grundprinzip des Gesprächs kann man ruhig übernehmen. Mit Erklärungen zu mehr Erfolg Oft höre ich Klagen, dass die Lesenden nicht ausführen, was gefordert wird. Unterlagen oder Berichte würden z.B. nicht rechtzeitig eingereicht. Wenn Sie wünschen, dass der andere etwas tut, helfen Erklärungen. Denn nicht jede/r kennt die genauen Abläufe und es leuchtet vielleicht nicht auf Anhieb ein, warum man zum Beispiel einen Bericht einen Monat vor der Druckausgabe einreichen muss. Bei Bitte senden Sie uns Ihren Bericht bis spätestens am... macht es also eventuell noch nicht bei jedem "Klick". Bei Bitte senden Sie uns Ihren Bericht bis spätestens am..., damit wir diesen anschliessend der Druckerei zustellen können ist vielleicht eher einleuchtend. Bei Melden Sie sich bis am... für den Firmensporttag an, denken viele, dass man mit der Anmeldung noch zuwarten kann. Formulieren Sie jedoch im Stil von Melden Sie sich bis am ... für den Firmensporttag an. Wir benötigen dieses Jahr die genaue Anzahl Teilnehmende, weil wir Teams à 6 Personen zusammenstellen macht dies für die Lesenden Sinn. Und ja: Es gibt auch so immer noch welche, die zu spät dran sind. Aber hoffentlich weniger als üblich. Und falls Sie Gesetze kommunizieren müssen, tun Sie gut daran, nicht nur den entsprechenden Paragraphen zu zitieren, sondern anschliessend auch auszudeutschen, welche Konsequenzen dieser für den Empfänger hat. Also nicht nur §xx, sondern Nach §xx bedeutet das für Sie: ... Wobei wir hier wieder beim mündlichen Dialog gelandet wären. Am Telefon würde der Paragraph sicher erklärt. Oder zumindest würde der/die Zuhörer/-in am anderen Ende nachfragen, wenn er oder sie etwas nicht verstehen würde. Und genauso verhält es sich mit den Briefen. Nur dass die Lesenden nicht sofort nachfragen können. Diesen Schritt müssen Sie als Schreibende/r übernehmen. Gehen Sie also nicht automatisch vom "Wir" aus, sondern vom "Sie". Dann fallen die Floskeln wie von selbst weg und Sie kommen mit Ihrer Leserschaft in ein Gespräch. Einfach in schriftlicher Form. Und noch etwas: Floskeln können hartnäckig sein. Fehlt die Zeit zum Schreiben, sind Floskeln wieder rasch zur Hand. Lassen Sie sich aber nicht davon entmutigen. Zu Beginn braucht es etwas Zeit, neue Wege zu gehen, sich neue Formulierungen zu überlegen. Aber das Resultat lohnt sich. Selbst zu Beginn skeptische Seminarteilnehmer habe ich bisher noch immer bis am Ende eines Seminartages gewinnen können. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Ausprobieren oder falls Sie an einer Stelle stocken: Schreiben Sie an info@katrinbeer.ch. Bis zum nächsten Mal Katrin Beer

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